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Projekt Rückbau Deutsche Welle: Zeitrafferkameras am Kölner Funkhaus des Deutschlandradios

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Das Projekt „Rückbau Deutsche Welle“ transformiert Europas größte Abrissbaustelle in ein Kunstprojekt. Thematisiert wird die Abtragung des 138 Meter hohen ehemaligen Gebäude des Radiosenders Deutsche Welle aus dem Stadtbild von Köln. Aufgrund der Kontamination durch verschiedene Asbestarten wird das ehemalige Gebäude der Deutschen Welle nach nur 20 Jahren Nutzung in Köln abgerissen. Die hochtechnisierte Demontage der komplexen Architektur wird von mir detailliert über Jahre hinweg dokumentiert. Die Aufnahmen thematisieren die Dimensionen und Eigenheiten eines der höchsten Funktürme Deutschlands und übersetzen das Desaster seiner Geschichte in eine künstlerische Arbeit. 

Foto: Jan Glisman 2020

Eine Bedrohung für den eigenen Sendebetrieb

Das Wort Rückbau ist ein Fachbegriff aus dem Bauwesen und beschreibt den systematischen Abbau eines Gebäudes. Eine so komplexe wie überdimensionale architektonische Struktur wie das ehemalige Funkhaus der Deutschen Welle am Raderberggürtel von 1974 bis 1978 aufzubauen um dieses dann  knapp 42 Jahre später in einem ähnlichen Zeitraum zu vergleichbaren Kosten nach nur 20 Jahren Nutzung wieder zurückzubauen ist so unwirtschaftlich wie fragwürdig. Die Antwort ist einfach: Es wurden ca. 500 Tonnen Spritzasbest verbaut. Der DLF als direkter Nachbar bezeichnete die geplante Sprengung des Gebäudes als eine Bedrohung für den eigenen Sendebetrieb. Ein konventioneller Abriss kam ebenfalls nicht in Frage. So entschloss man sich für einen Rückbau. 

Foto: Jan Glisman 2020

Die Anatomie des Gebäudes: Eine Sezierung

Der Sendeturm ist mit seinen 138 Metern Gesamthöhe das dritthöchste Gebäude in Köln. Es besteht aus einem Studioturm, einem Büroturm und dem dazwischenliegenden Aufzugsturm. Der Rückbau zeichnet sich durch eine hochtechnisierte Demontage aus. Alles wird bis ins kleinste Detail geplant, ausgearbeitet und durchgeführt. Nach einer über ca. einem Jahr andauernden Asbestsanierung werden durch hochmoderne, extra für diese Anforderungen konstruierte  hydraulische Fassadengürtel die einzelnen Elemente der Fassaden demontiert. Diese Vorgehensweise legt die Anatomie des Gebäudes bis ins kleinste Detail sauber frei. Die Fassadengürtel wandern an Büroturm und Studioturm Stockwerk für Stockwerk von unten nach oben. Auf diesem Wege werden Fenster und die Verkleidung der Fassade abgenommen, wodurch die darunter liegende, vertikale Struktur aus bunt lackierten Stahlträgern zum Vorschein kommt. Nachdem die Hydraulikgürtel an den obersten Stockwerken angekommen sind, wandern diese anschließend wieder von oben nach unten. In diesem Schritt werden die unter der Fassade liegenden Stahlkonstruktionen zertrennt sowie die innen liegenden Stahlbetonkerne zersägt. Mit Europas größten Mobilkränen, werden die abgetrennten Elemente von den Gebäudeplattformen nach unten abgelassen. Studioturm und Büroturm werden parallel mit den Hydraulikgürteln zurückgebaut. Letztlich wird final der noch verbleibende Aufzugsturm aus massivem Stahlbeton von oben nach unten abgetragen. 

Foto: jan Glisman 2020

Der Bausatz: Auf oder Abbau?

Aus künstlerischem Interesse an den Vorgängen auf der Baustelle entwickelte ich in Zusammenarbeit mit dem Kölner Kunstverein artrmx e.V.  2018 ein Konzept zu fotografischen und filmischen Dokumentation des Rückbaus. Seit Anfang 2019 verfolge ich die Entwicklungen auf der Baustelle. Das Gebäude ist in seiner Substanz noch hervorragend erhalten. Einem nicht eingeweihten Zuschauer erscheint dieser Rückbau eher als ein Aufbau. Staubentwicklung wird vermieden, Gebäudestrukturen aus Beton werden mit Kreissägen gradlinig, sauber zerteilt um diese anschließend mit Kränen vom Gebäude zu heben. Alles wird direkt abzutransportieren, wobei ein Großteil der Bausubstanz wiederverwertet wird. Die einzelnen Zwischenschritte des Rückbaus lassen die Architektur als eine Art Bausatz erscheinen. Die präzise Demontage läßt fast vermuten, das das Gebäude an einer anderen Stelle wieder aufgebaut werden soll. 

Foto: Jan Glisman 2020

Die Wiedergutmachung eines Fehlers, einer Reise zurück, in Raum und Zeit

Man geht Schritt für Schritt den ganzen Weg der Konstruktion langsam und bedacht zurück. Um diese Vorgehensweisen in all Ihren komplexen Abläufen in Bildern festzuhalten, installierte ich 2019 in Zusammenarbeit mit Mitarbeitern des direkt benachbarten Deutschlandfunkes verschiedene Stopmotionkameras, die aus unterschiedlichen Perspektiven rund um die Uhr Fotos von der Baustelle machen. Dafür eigens konzipierte Kamerasysteme mit Teleobjektiven und speziellen Stromversorgungen nehmen selbst das kleinste Detail zu jeder Tagezeit auf. Aus diesen Fotoarchiven entstehen Stopmotionfilme, die in allen Details die zeitliche und räumliche Dimension dieses mehrjährigen Rückbaus dokumentiert. Die Filme handeln von der Beseitigung eines Irrtums, der Wiedergutmachung eines Fehlers, einer Reise zurück, in Raum und Zeit. 

Text: Jan Glisman